Duisburg. Die Hafenstadt in Deutschlands größter Industrieregion legt beim Thema Wirtschaftsleistung vor – der größte Binnenhafen der Welt wächst und wächst. Innerhalb weniger Jahre ist aus dem kleinen Städtchen am Niederrhein ein mächtiger Umschlaghub für den Ost-West- Verkehr geworden. Bis tief in den Hafen hinein reichen die Eisenbahngleise aus dem Umland.
Längst bringt die Bahn nicht nur umgeschlagene Waren ins Hinterland oder von dort in den Export. Nein, die Bahn ist zum verlängerten Arm des Hafens geworden. Sie ist zu einer der Hauptschlagadern im Warenstrom zwischen Europa und Asien gewachsen, die zwischen den bedeutendsten Industriegebieten beider Kontinente pulsiert.
Die Zugverbindung zwischen Europa und China ist eines der größten Globalisierungsprojekte der Welt. Dabei war die alte Handelsschneise zwischen Ost und West niemals wirklich geschlossen. Jahrtausendelang tauschten Händler über die Seidenstraße ihre Waren mit fernen Ländern – aus den chinesischen Hochburgen bis in die europäischen Handelsmetropolen. Ungehindert knüpften Händler Kontakte und schickten Güter auf dem Landweg zu den Kunden. Vor fünf Jahren nun stellte Chinas Präsident Xi Jinping den „Seidenstraßen-Wirtschaftsgürtel“ vor, die Belt and Road Initiative BRI. Andernorts heißt es etwas romantischer: die Neue Seidenstraße.
Mit ihr entsteht ein gigantischer Wirtschaftsraum. Fast eine Billion US-Dollar will China in den kommenden Jahren in Infrastrukturprojekte an der Neuen Seidenstraße investieren. Knapp 1.000 unterschiedliche Projekte stehen an, die mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung miteinander vernetzen sollen – 4,5 Milliarden Menschen in 70 Ländern. Nicht nur an Land, sondern auch auf hoher See: von Chinas Ostküste über den Indischen Ozean bis nach Westafrika und Südeuropa.
Meilensteine im Güterverkehr
Tausende Kilometer neue Bahngleise machen die Nordrouten über Russland und Kasachstan auf den Spuren der legendären Transsibirischen Eisenbahn zur wichtigsten Trasse im Schienengüterverkehr. Mit einer Transitzeit zwischen 12 und 18 Tagen bei 10.000 Kilometern Strecke sind das die schnellsten eurasischen Bahnverbindungen.
Die Deutsche Bahn fährt schon seit Langem auf dieser Route: 1973 reiste ein erster Container auf der Transsibirischen Eisenbahn. Im Jahr 2008 erreichte ein Test-Güterzug aus Peking die Hansestadt Hamburg, im Oktober des gleichen Jahres folgte der erste reguläre Containerzug aus Xiangtang.
Umgekehrt stellte die Ankunft des Güterzuges X8044 aus Hamburg in Wujiashan in der zentralchinesischen Provinz Hubei im März 2011 eine wirkliche Zeitenwende dar: Seitdem bietet die DB regelmäßige Zugverkehre zwischen China und Deutschland an.
„Was mit einem Zug am 6. Oktober 2008 begann, hat sich längst zu einer Erfolgsgeschichte entwickelt“, fasst Alexander Doll, DB-Vorstand für Güterverkehr und Logistik, zusammen.
Seit einigen Jahren ist auch das übrige Westeuropa an das Netzwerk angebunden. 2014 traf der erste Güterzug aus China in Madrid ein. Im Führerstand der Lokomotive: Vanessa Fernández von der spanischen DB Cargo-Tochter Transfesa. Am Bahnhof erwarteten sie alle Medien des Landes. Ähnlich 2016 im französischen Lyon: Auch dort berichteten die nationalen Medien ausführlich über den ersten Zug aus China. Und als 2017 der erste Direktzug aus Yiwu nach 12.000 Kilometern Fahrt im britischen Barking eintrifft, überträgt das die BBC sogar live im Fernsehen. Europa staunt über diese transkontinentale Leistung.
Ausbau der Schienenwege
Eine Voraussetzung für diese Leistung war der Ausbau der Strecken zwischen Europa und Asien. Vor allem China hat in den vergangenen Jahren gewaltige Summen in sein Netz investiert. „Das Schienennetz hat sich in den letzten zehn Jahren wie das Frachtvolumen nahezu verdoppelt“, sagt Dietmar Prümm, Leiter Transport und Logistik bei der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers Deutschland: „Ehrgeizige Ziele der chinesischen Regierung sehen für die Zukunft eine Steigerung der Transportleistung auf der Schiene um 30 Prozent bis 2020 vor.“
Vor allem in den Ballungszentren Chinas spielen schienengebundene Verkehrsmittel eine wichtige Rolle. Aber noch ein Ziel will China erreichen: „Ähnlich wie in Deutschland soll mehr Schienenverkehr natürlich auch helfen, die gesteckten Nachhaltigkeitsziele zu erreichen“, so Prümm.
Denn wirtschaftlich ist China immer mächtiger geworden. Das Land ist aber dadurch der weltgrößte CO2-Emittent und leidet zugleich enorm unter dem Klimawandel: Verödung von Landstrichen, Umweltprobleme, Wassermangel und nicht zuletzt der legendäre Smog in den chinesischen Millionenstädten zeigen bereits, dass das Land nachhaltiger wirtschaften muss. Die Stärkung klimafreundlicher Verkehrsmittel ist dabei eine Maßnahme. Auf der Fahrt von Europa nach China fallen die CO2-Emissionen eines Zuges um 95 Prozent geringer aus als beim Flugzeug.
Daher will beispielsweise die Provinz Hebei, die die smoggeplagte Hauptstadt Peking umgibt, bis zum Jahr 2020 ein Drittel aller Güter auf der Schiene oder mit dem Binnenschiff transportieren lassen. Derzeit werden Gütertransporte nur zu 11,7 Prozent auf der Schiene durchgeführt, so die Nachrichtenagentur Reuters.
Mehrmaliges Umspuren
Mittlerweile haben 10.000 Transporte zwischen China und Europa stattgefunden. Zum Stichtag 30. Juni 2018 verbindet die Eisenbahn 48 chinesische mit 42 europäischen Städten. Zwischen 15 europäischen und etwa ähnlich vielen Destinationen in China gibt es mittlerweile regelmäßige Zugverbindungen. Sie bringen Kleidungsstücke, Autoteile, Chemikalien und andere chinesische Waren zu europäischen Verbrauchern. In Gegenrichtung transportieren die Züge Lebensmittel, Holzprodukte sowie Maschinen und Geräte.
Allein von 2014 bis 2017 verzwölffachte sich die Zahl der jährlichen Güterzüge auf 3.673. Ein gutes Stück davon fährt DB Cargo. Bis zum Jahr 2020 werden voraussichtlich mindestens 100.000 Standardcontainer zum Kunden transportiert. Zuverlässig und nachhaltig.
Doch immer noch verursacht die Strecke einen großen technischen und administrativen Aufwand. Auf ihrer Fahrt über die längste Eisenbahnlinie der Welt müssen die Züge zweimal die Spurweiten wechseln. China hat die gleiche Spurweite wie Europa. In Weißrussland, Russland, der Mongolei und in Kasachstan jedoch fahren Züge aus historischen Gründen auf breiter verlegten Schienen. Zwischen der sogenannten Normalspur mit 1.435 mm und der Breitspur mit 1.520 mm wird in Umschlagbahnhöfen gewechselt: Container werden mit dem Kran von einem Tragwagen auf den Wagen mit der anderen Spurweite gehoben. Bei einem anderen Verfahren werden die Achsen ausgetauscht – jeder Waggon verfügt über eigene Wechselachsen, die aufwendig gelagert und instand gehalten werden müssen.
Das Umspuren findet in Asien an der mongolisch-chinesischen Grenze in Erlian/Zamyn Uude oder an der chinesisch-russischen Grenze in Sabaikalsk/Manzhouli statt.
Auch einige Hundert Kilometer südlich, an der Grenze zwischen China und Kasachstan, ist eine gigantische Anlage für den Güterverkehr entstanden. Wo früher die Dsungarische Pforte das Einfallstor nach Russland beziehungsweise China war, befindet sich heute einer der größten Güterbahnhöfe der Welt: Zwei von drei Zügen im eurasischen Verkehr fahren über Dostyk/Alashankou. Mittlerweile ist die Wartezeit am Bahnhof von 24 Stunden auf 15 Stunden gesunken.
Nach ihrer tagelangen Reise durch Kasachstan und Russland passieren die Züge die Ortschaften Brest und Malaszewicze an der Grenze zwischen Weißrussland und Polen. Auch dort müssen die Container auf die Normalspur umgesetzt werden, bevor sie in das europäische Schienennetz gelangen.
Weil sich der Übergang zum Nadelöhr entwickelt hat, sucht DB Cargo nach Alternativen. „Auf vielfachen Kundenwunsch testen wir ab Herbst eine Seeverbindung von Kaliningrad nach Rostock. Mit ihr werden wir schneller und flexibler Waren vom deutschen Ostseehafen aus in Europa verteilen können“, so DB-Vorstand Alexander Doll.
Flexibilität und Kooperation gefordert
Doch nicht nur die Spurweiten, auch andere technische Standards machen den Eisenbahnern das Leben schwer. Unterschiede bei den Kupplungen beispielsweise: In Europa werden Puffer und Schraubenkupplung verwendet, in Russland und China die russische SA-3-Kupplung. Auch dürfen Züge in Russland 5,3 m hoch und 3,75 m breit sein. In Europa sind für Container 4,32 m Höhe und 3,15 m Breite entsprechend der ISO-Norm 668 üblich.
Und schließlich sorgen auch verschiedene Stromsysteme sowie betriebliche Vorschriften und Zollverfahren dafür, dass nur derjenige erfolgreich auf dieser Verbindung ist, der Erfahrung und Kooperationsbereitschaft mitbringt.
„Eine solche Strecke können Sie nur beherrschen, wenn Sie breit aufgestellt sind und über ein großes Netzwerk verfügen“, sagt Dr. Carsten Hinne, Senior Vice President Korridorentwicklung China/Eurasischer Korridor bei DB Cargo. „Wir kooperieren ja schon seit geraumer Zeit mit den Bahnen und unseren Partnern. Da gibt es viele gut funktionierende Prozesse. Aber das Geschäft verlangt auch eine enorme Flexibilität unsererseits.“
Der Güterbahn kommt zugute, dass ihre Kontakte nach China weit zurückreichen: Die DB ist dort schon seit 1966 tätig.
Ihre Logistiktochter DB Schenker beschäftigt 6.200 Mitarbeiter im Land und verfügt über ein dichtes Netz von 92 Logistikstandorten und Geschäftsstellen in 67 chinesischen Städten.
„Das Geschäft ist wirklich eines im Multidialog“, ergänzt Uwe Leuschner, Senior Vice President Business Development Eurasia der DB Cargo AG, General Manager von DB Cargo Eurasia und Generaldirektor von DB Cargo Russia. „Wir müssen kontinuierlich im Gespräch mit den Partnern und den anderen Beteiligten bleiben – auch wegen des anhaltend hohen Preisdrucks.“
Enge Zusammenarbeit mit DB Schenker
Aus diesem Grund hat sich DB Cargo neu aufgestellt: In der jungen Vertriebseinheit DB Cargo Eurasia wurden alle Leistungen zu den China-Europa-Zügen integriert. Dazu gehören nicht nur Terminal-zu- Terminal-Angebote und Door-to-door-Services. DB Cargo Eurasia übernimmt auch als Operator die kommerzielle und operative Verantwortung und vertreibt Transportkapazitäten und Stellplätze an Logistikdienstleister. Ein neues Büro in Shanghai sorgt für den direkten Kontakt zu Kunden in China – und sichert gleichzeitig die enge Zusammenarbeit mit DB Schenker vor Ort.
„Wir arbeiten mit DB Cargo zusammen und stimmen uns eng ab“, erläutert Daniel Wieland, Vice President Multimodal & Dedicated Solutions DB Schenker. „Als Spediteur bieten wir Transporte auf Door-to-door-Basis und organisieren Vor- und Nachlauf im eigenen Netzwerk.“ Diese Zusammenarbeit ist laut Wieland das A und O, um die Kundenanforderungen noch besser erfüllen zu können. „Der Markt wird härter, gerade auf diesem Verkehrskorridor“, sagt Wieland. „Noch haben wir als DB eine Pionierrolle, aber die behalten wir nicht automatisch.“
Denn längst haben auch andere Bahnbetreiber und Logistiker die Vorteile der Strecke entdeckt: Die Eisenbahn steht vor exponentiellem Wachstum. Eine Studie der Beratungsfirma Roland Berger zeigt, dass die Schiene ein erhebliches Potenzial bietet, um Container vom Schiff und vom Flugzeug auf die Bahn zu holen. Für die kommenden zehn Jahre prognostiziert die Studie der Schiene im Containerverkehr ein jährliches Wachstum von mindestens zehn Prozent. Schon bald könnten sich täglich bis zu 20 Container-Züge auf den langen Weg zwischen den Kontinenten machen.
So wird die Bahn fast zum Selbstläufer, die ihren eigenen Erfolg immer weiter steigert. Sie verbindet nicht nur Kontinente, sondern hat auch die Wirtschaft der beteiligten Länder verändert und die handelspolitische Zusammenarbeit entlang des Korridors gefördert.
Denn die Züge bringen nicht nur Waren, sondern auch wirtschaftlichen Schub in viele Regionen Europas, indem sie deren Industrien und Märkte schnell und einfach mit China verknüpfen. Ob Nürnberg oder Triest, Lyon oder Duisburg: Die ursprünglich als Hinterlandzentren gedachten Umschlagbahnhöfe erleben eine völlig neue Dynamik – obwohl oder gerade weil sie so fern von der See, den großen Häfen und den traditionellen Handelsrouten liegen.
Vor Hunderten von Jahren wurde die Geschichte des Handels von Seefahrern geschrieben. Heute sind es die Lokführer, die Kontinente, Länder und ihre Völker miteinander verbinden.