So geht Zukunft!

So geht Zukunft!

Eine Reise ins Jahr 2050.


Oft sehen wir Wendepunkte erst im Rückblick. 2020 war so ein Wendepunkt – der Höhepunkt einer Entwicklung, die mit der Industrialisierung begann und die spätestens Mitte des 20. Jahrhunderts unabwendbar schien. Gerade dieses Krisenjahr legte den Grundstein für eine Entwicklung, an deren vorläufigem Ende die Lieferketten und der Konsum absolut CO₂-frei und nachhaltig sind.

Ob nun die Pandemie den Menschen die Augen geöffnet hat oder die Fridays-for-Future-Demonstrationen endlich Früchte trugen, vermag 2050 niemand mehr mit Gewissheit zu sagen. Fakt ist aber: Das Leben hat sich in den letzten 30 Jahren radikal geändert – weil die Menschen sich geändert haben. Ein nachhaltiges Leben ist plötzlich nicht mehr nur hip, sondern etwas, was tief im Bewusstsein der Menschen verankert ist. Für Emma ist das keine Selbstverständlichkeit. Als Schülerin war sie selbst noch Teil der Fridays-for-Future-Bewegung.
Deren Ziele waren ambitioniert, aber niemand hätte geglaubt, dass Greta Thunberg eines Tages sogar die Umweltministerin der EU werden würde. Einer Europäischen Union, die 2050 den Namen Gemeinschaft wirklich verdient, in der Entscheidungen gemeinsam getroffen und dann verbindlich für den gesamten Kontinent umgesetzt werden. Was hatten sie damals bewegen können! Heute ist Emma Supply-Chain-Managerin für die Logistik von EcoCon, dem führenden Konsumgüterkonzern, und gestaltet aktiv mit, wofür sie und ihre Mitstreiter vor 30 Jahren auf die Straße gegangen sind. Eine sanfte Vibration im Handrücken unterbricht ihre Gedanken und holt sie von der Vergangenheit zurück in die Gegenwart – der implantierte Chip meldet eine eingehende Nachricht. Nach der Bestätigung wird die Nachricht direkt auf ihre Iris projiziert: „Ihre Lieferung von DB Cargo trifft in exakt 15 Minuten ein.“

Vegan und CO₂-frei
Denn Lieferketten sind 2050 nicht nur komplett CO₂-frei, sondern auch absolut verlässlich und auf die Minute genau. Möglich wurde das auch durch ein konsequentes Umdenken der Politik. Die großen Krisen Anfang der 2020er-Jahre bereiteten den Weg für die erste grüne Bundesregierung und sogar die erste grüne Bundeskanzlerin. Noch erstaunlicher war nur, dass nahezu alle Oppositionsparteien plötzlich die Dringlichkeit der Lage erkannten und an einem Strang zogen. Die Schiene wurde ausgebaut, ein cleverer Mix verschiedener Transportmittel forciert und nicht zuletzt wurde endlich die Digitalisierung vorangetrieben – die machte Mitte der 2020er-Jahre einen gewaltigen Sprung. Künstliche Intelligenz ist seitdem aus der Logistik nicht mehr wegzudenken. Davon profitieren auch Unternehmen wie EcoCon, die ohne CO₂-freien Transport am Markt nicht existieren könnten. Der Konzern bietet neben nachhaltigem Silphienhonig ein rein veganes Sortiment. Denn inmitten der Corona-Pandemie wurde auch den letzten Zweiflern klar, dass die Massentierhaltung so nicht weitergehen kann.


Dank künstlicher Proteine kommen Grundnahrungsmittel in Zukunft on demand aus dem 3-D-Drucker. Quelle: Mathis Burmeister

Nahrungsmittel aus dem 3-D-Drucker
Bereits um die Jahrhundertwende zeichnete sich zwar ein Trend zu vegetarischer Ernährung ab, durchsetzen konnte sich das aber zunächst nicht. Mittlerweile sind Massentierhaltung und unwürdige Transport- und Schlachtbedingungen gar nicht mehr vorstellbar. Der Wandel brauchte einige Zeit, aber vor 15 Jahren begann EcoCon dann so richtig durchzustarten und in kleineren regionalen Laboren sogar Proteine künstlich herzustellen. Dadurch wurde mit einem Mal nicht nur die Massentierhaltung obsolet, auch die riesigen bewässerungs- und energieintensiven Ackerflächen konnten deutlich reduziert werden. An deren Stelle wurden Wälder wiederaufgeforstet und Flüsse renaturiert, das Klima erholte sich spürbar. Die künstlichen Proteine führten schließlich auch dazu, dass einige Grundnahrungsmittel aus dem 3-D-Drucker kommen. Was in der Industrie schon Ende der 2020er-Jahre gang und gäbe war, revolutionierte auch die Konsumgüterindustrie. Transportiert wird seitdem deutlich weniger und deutlich bewusster.

So erfolgt der Transport von den Laborzentren in die Filialen komplett CO₂-frei über reine Güterverkehrsschienen, die mittlerweile zum größten Teil unterirdisch verlegt sind. Dadurch wurde Ende der 2030er-Jahre der Güterverkehr komplett vom Personenverkehr entkoppelt. Schlagartig wurden so alle Verkehrsströme sicherer und verlässlicher. Auch weil sämtliche Verkehre autonomisiert wurden. Nur so wurde wirkliche Effizienz möglich – Fehler und Unfälle passieren seitdem kaum noch und die Planung der gewaltigen Warenströme ist dank der Künstlichen Intelligenz nahezu perfekt. Alle größeren Städte haben außerdem eigene, unterirdische Gleisanschlüsse zur Verteilung der Waren. Nur ländlichere Gebiete benötigen noch einen Umschlagplatz; die letzte Meile erfolgt je nach Menge über Drohnen oder wasserstoffbetriebene, autonom fahrende Lkw. Emmas Filiale ist zum Glück groß genug.


Beinahe persönlich: Holografische Avatare sind so real, dass Reisen fast überflüssig werden. Quelle: Mathis Burmeister

Vollautomatisierte Lieferung im unterirdischen Firmenbahnhof
Beinahe geräuschlos fährt die Lok ein und kommt millimetergenau zum Stehen. Emmas Chip vibriert zwar erneut, als sie mit dem Aufzug nach unten ans Gleis fährt – ausgeladen wird aber völlig autonom. Gleichzeitig erscheinen Daten zur Lieferung via Hologramm. Lieferumfang und Gewicht, wie viele Paletten und Roboter zum Ausladen benötigt werden, wann der Zug wieder losfahren wird.
Nach einem kurzen Check und automatischem Abgleich mit der Bestellung laden mit Solarstrom betriebene Roboter genau die Mengen aus, die benötigt werden – und zwar absolut exakt. Die Künstliche Intelligenz berechnet aber nicht nur, wie viel in der Filiale von Emma am Tag verbraucht wird. Drei Jahrzehnte Machine Learning haben auch dazu geführt, dass praktisch keine Überproduktion mehr stattfindet. Hergestellt wird nur, was auch tatsächlich verbraucht wird. Die Ressourcenverschwendung des 20. Jahrhunderts gehört damit endlich der Vergangenheit an. Zufrieden sieht Emma zu, wie die Wagen leerer werden und wie die mechanischen Kollegen die Ware erfassen und konfektionieren. Sie beobachtet alle Vorgänge ganz genau. Die Technik ist zwar sehr ausgereift, doch es schadet nicht, wenn ein Mensch sie von Zeit zu Zeit stichprobenartig überprüft. So kontrolliert sie zum Beispiel, ob die richtigen Gütesiegel auf der Ware sind: eines für den CO₂-freien Transport, ein anderes für die faire und umweltfreundliche Produktion.


Implantables und Biohacking: 2050 werden Nachrichten direkt auf die Netzhaut projiziert. Quelle: Mathis Burmeister

Beamen wird die Logistik komplett verändern
Den Nachhauseweg erledigt Emma mit einem Fahrrad – ganz altmodisch, beinahe nostalgisch, ohne elektrische Unterstützung. Seit es kaum noch Individualverkehr gibt, sind die Innenstädte ein Paradies für Fußgänger und Radfahrer. Emma wohnt in einer besonders grünen Nachbarschaft, jede Hausfassade ist mit Algen bepflanzt. Diese ziehen das letzte CO₂ aus der Atmosphäre und schützen gleichzeitig vor Kälte und Hitze. Die Haustür öffnet sich automatisch, als Emma den Eingang erreicht. In der Küche erwartet sie bereits ihre Tochter Carly: „In der Schule mussten wir heute unseren Müll selber trennen, damit wir verstehen, wie die Roboter das immer machen. Super eklig!“ „Du weißt nicht, wie gut du es hast, Carly“, erwidert Emma lachend. Auch Emmas Mutter, die mittlerweile zwar in Südafrika lebt, die Familie aber täglich als Avatar virtuell besucht, kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Ich erzähle dir mal, was deine Mutter in deinem Alter tun musste, um uns und den Planeten zu retten.

Damals wurde Müll noch gepresst und zum Verbrennen durch halb Europa transportiert – aber immerhin landete er so nicht auf irgendeiner Deponie in Asien.“ Carly schüttelt ungläubig den Kopf – wie rückständig, mittlerweile reden immer mehr Wissenschaftler von Durchbrüchen und ersten greifbaren Erfolgen beim Beamen. Dann würde sich Logistik komplett wandeln, hin zu einer Informations- und Datenlogistik, vieles müsste und könnte noch einmal komplett neu gedacht werden. Emma jedenfalls gefällt dieser Gedanke.