Die Zukunft der Logistik

Die Zukunft der Logistik

Die Zukunftsforscher Karl-Heinz Land und Prof. Dr. Peter Holm im Interview.


Karl-Heinz Land ist Keynote Speaker, Coach, selbsternannter Neudenker und Autor der Bücher „Erde 5.0“ und „Digitaler Darwinismus“. Und er ist sicher: „Wir werden Greta alle irgendwann mal sehr dankbar sein.“ Prof. Dr. Peter Holm ist Prodekan am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Provadis Hochschule in Frankfurt mit den Forschungsschwerpunkten Logistik & Supply Chain Management, Digitalisierung sowie Nachhaltigkeit. Als profunder Kenner der Materie mahnt er: „Wir müssen uns in einigen Dingen vom Gestern verabschieden.“ Wir haben mit den beiden Experten gesprochen – über die Zukunft, über die Logistik, die Wirtschaft und das Klima. Aber lesen Sie am besten selbst.


Prof. Dr. Peter Holm ist Prodekan am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Provadis Hochschule in Frankfurt. Quelle: Peter Holm


Karl-Heinz Land ist Keynote Speaker, Coach, selbsternannter Neudenker und Autor der Bücher „Erde 5.0“ und „Digitaler Darwinismus“. Quelle: Karl-Heinz Land

In ihrem Klimaschutzprogramm hat die Bundesregierung sich Ziele für den Verkehr gesetzt. So sollen der CO₂-Ausstoß bepreist, Emissionen um 40 Prozent verringert sowie der Verkehr elektrifiziert und auf die Schiene verlagert werden. Sind diese Ziele aus Ihrer Sicht zu ambitioniert oder nicht ambitioniert genug?

Land Ich finde ehrlich gesagt ein bisschen beschämend, was da an Anforderungen kommt. Wir fordern die Industrie nicht genügend und ich finde den CO₂-Preis unterirdisch. Ich bin ein Propagandist der Zirkulär-Ökonomie und glaube, dass alles einen wahren Preis hat. Eine Plastikflasche hätte nie billiger als eine Glasflasche sein dürfen. So wird das vermutlich nur sehr langfristig passieren.

Holm Ich finde es gut, dass die Politik Ziele setzt, und finde sie ambitioniert. Ich halte aber auch ein noch stärkeres Zusammenspiel der unterschiedlichen Verkehrsträger für die Klimawende für essenziell notwendig. Wenn wir wirklich merklich CO₂ reduzieren wollen, bedarf es mehr als eines CO₂-Preises, etwa einer digitalen Infrastruktur und der Gesellschaft als Ganzes. Wir brauchen das Thema auf breiterer Front.

In der Gesellschaft scheint ökologisch als hip zu gelten. Aber ist die Gesellschaft schon bereit, den „wahren“ Preis für Dinge zu bezahlen?

Holm Es gibt gute Beispiele, bei denen das so ist. In Österreich zum Beispiel gibt es eine Plattform, bei der die Verbraucher bereit sind, für regional und nachhaltig transportierte Produkte mehr zu zahlen. Greta sei Dank haben wir heute ein größeres Bewusstsein. Wie hoch die Bereitschaft – vor allem die Zahlungsbereitschaft – allgemein ist, wird man sehen.

Land Das ist das Henne-Ei-Problem. Klar sind unsere Konsumenten verwöhnt. In anderen EU-Ländern ist man eher bereit, mehr Geld für Lebensmittel zu zahlen. Das muss hier erst trainiert werden. Aber das kann man den Menschen klar machen und ihnen zeigen: Wenn du das tust, kommt das raus. Wir werden irgendwann Greta mal sehr dankbar sein, denn sie tut genau das. Jetzt müssen wir nächste Schritte gehen und erklären, dass der Wandel nicht kostenlos sein wird.

Welche wirtschaftlichen Potenziale werden aktuell noch nicht ausgeschöpft?

Holm 75 Prozent aller Waren werden aktuell über die Straße transportiert. Hier kommt die bestehende Infrastruktur an ihre Grenzen. Es gibt aber einige Initiativen, mehr Güter auf die Schiene zu bringen und den Kombinierten Verkehr zu stärken. Der Bundesverband Güterverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) hat zusammen mit dem Verkehrsbündnis Allianz pro Schiene mit „railway.tools“ eine Plattform ins Leben gerufen, um Schnittstellen zwischen Straße und Schiene zu verbessern. Das Thema ist insgesamt sehr komplex und ein langjähriger Prozess. Helfen würden einheitliche Normen und Standards. Um den Schienengüterverkehr nachhaltiger zu gestalten, sollten wir stärker auf den Effizienzgewinn und die Innovationskraft der Digitalisierung setzen: Sensoren, Plattformen, Hubs. Da sind wir erst am Anfang, da muss mehr passieren.

Land Ich kann das nur unterstützen. Gerade wenn wir uns Plattformen und Sharing-Ökonomie anschauen. Man hat nachgewiesen, dass intelligente Systeme 70 bis 90 Prozent weniger Ressourcen brauchen. Hier wird Künstliche Intelligenz (KI) einen enormen Hebel
darstellen. Digitalisierung ist ein wichtiger Schritt zu mehr Nachhaltigkeit, hier muss die Wirtschaft zuerst ansetzen.

Müssen Unternehmen in die Offensive gehen oder warten, dass nachhaltige Lösungen nachgefragt werden? Oder anders gefragt: Ist Nachhaltigkeit eine Bringschuld oder eine Holschuld?

Land Ein entschiedenes Vielleicht. Es geht nicht mehr um entweder oder, sondern um das Und. Wir müssen beides tun, push und pull, Sog und Druck erzeugen. Der Druck entsteht durch den Klimawandel, die verstopften Straßen, aber auch durch Digitalisierung und Automatisierung. Wer nicht digitalisiert und vernetzt, kann nicht automatisieren. Wer nicht automatisiert hat, wird Opfer des digitalen Darwinismus und wirtschaftliche Nachteile haben.

Holm Für Unternehmen entsteht ein deutlicher Zugzwang. Parallel zum Umweltschutz müssen sie die Transparenz aller Partner einer Lieferkette erhöhen und immer individuellere, kundenorientierter werdende Leistungen erbringen. Neue (cyber­physische) Systeme und KI helfen ihnen dabei.

Wie grün ist die Logistik heute bereits? Könnte sie heute schon grüner sein?

Holm Sie könnte viel, viel grüner sein. Die Frage ist doch, warum beschäftigen sich Unternehmen mit einer nachhaltigen Lieferkette? Druck kommt zunehmend von der Gesellschaft sowie von innovativen Start-ups. Aber das Thema muss auf breiter Front diskutiert werden. Der Güterverkehr wird zweistellig zunehmen. Dadurch ist es notwendig, schon heute über Zukunftslösungen nachzudenken. Weiterhin ist es wichtig, sich rechtzeitig nach Partnern und Fachpersonal umzusehen und Geschäftsmodelle zu überdenken.

Land Eins ist vollkommen klar: Wir haben in der Vergangenheit in der Wirtschaft auf Soziales geachtet, aber wenig auf Ökologisches. Die letzten 30 Jahre standen wir auf der Stelle, der Druck war nicht hoch genug. Doch jetzt passiert die Zeitenwende, der Trend zur „ökologisch-sozialen Marktwirtschaft“. Was wir im Moment sehen, ausgelöst durch Fridays for Future, ist erst der Anfang. Ich glaube, das Bewusstsein wächst auf allen Ebenen. Die Ökonomie wird der Ökologie folgen. Jedes Unternehmen wird dafür sorgen, nachhaltiger zu werden, sonst wird es abgehängt.

Welche Rolle spielt eine nachhaltige Logistik für die Einhaltung der Klimaziele?

Holm Logistik spielt da eine enorm wichtige Rolle. Wenn wir uns ansehen, dass das Gros aller Waren über die Straße transportiert wird, dann ist Logistik für den Klimaschutz selbstverständlich ein Thema. Außerdem müssen wir bedenken: Immer mehr Menschen zieht es in städtische Räume. Wie werden da in Zukunft Waren bewegt? Die Politik wird sicherlich auch über Lkw-Fahrverbote diskutieren, aber vor allem werden wir innovativ darüber nachdenken, wie wir Hubs und Paketstationen besser einrichten können.

Land Betrachtet man den gesamten CO₂-Ausstoß Deutschlands – 2019 waren es rund 800 Millionen Tonnen –, verursachen Verkehr und Logistik davon etwa 165 Millionen Tonnen. Wir sollten die Logistik also auf jeden Fall nachhaltiger gestalten, aber nicht
denken, dass wir dann alles geschafft haben. Jeder Einzelne muss seinen Beitrag dazu leisten.

Wie muss Ihrer Ansicht nach die Logistik der Zukunft aussehen und wie viel Logistik können wir uns überhaupt noch leisten?

Land Das Wichtigste ist, dass wir intelligente Systeme und verkehrsübergreifende Plattformen bekommen. Wir brauchen Systeme, die so wenig wie möglich CO₂ ausstoßen, und regenerative Energien. Aber auch menschliche Intelligenz, um unnötige Transporte wie Rücksendungen im Online-Handel zu vermeiden. Das müssen wir komplett neu denken und dafür sorgen, dass Logistik auf der letzten Meile immer noch hocheffizient ist und ein Ziel nicht fünfmal angefahren werden muss.

Holm Dem kann ich mich anschließen. Intelligente Systeme werden den Wandel unterstützen. Dazu bedarf es sehr gut ausgebildeter Fachleute, aber auch einer Regionalisierung der Produktion. Corona hat uns hinterfragen lassen: Ist es wirklich nötig, Dinge des alltäglichen Lebens rund um den halben Erdball zu fliegen? Das Thema Vernetzung verschiedener Verkehrsträger ist für die Zukunft essenziell, ebenso eine Offenheit für Innovationen. Eine grüne Logistik wird sich definitiv rechnen.

Was ist das Wichtigste, das Unternehmen jetzt angehen und umsetzen sollten?

Land Aus meiner Sicht ist einer der größten Hebel die Plattformökonomie, also Intelligenz in Systeme zu bringen. Auch Dematerialisierung ist wichtig und dafür zu sorgen, dass Güter keine unnötigen Wege machen. Das kann ich nur mit technologischem Fortschritt erreichen.

Holm Unternehmen sollten zunächst die Bedeutung der aktuellen sowie zukünftigen Herausforderungen verstehen, damit entsprechende Nachhaltigkeits- und Digitalisierungsstrategien entwickelt und auch zu Ende gedacht werden können. Nachhaltigkeit sollte nicht nur als Buzzword benutzt werden, ohne umfänglich alle Konsequenzen zu verinnerlichen und entsprechend umzusetzen. Firmen sollten Offenheit zeigen, verstärkt Kooperationen einzugehen. Nachhaltigkeit ist eben keine kurzfristige Kampagne mit schneller Amortisierung. Wir müssen uns in einigen Dingen von dem Gestern verabschieden.